Dieter Gross : Umwelterziehung und nachhaltige Entwicklung.  Bestandsaufnahme und Umsetzungsmöglichkeiten der Vereinbarungen der agenda 21 in der Lehrplanentwicklung in Deutschland.  

      in: Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik (ZEP),

21. Jahrgang, Heft 2 ,1998, ISSN 1434-4688, Stuttgart
     

Thema des Heftes:  Bildung für eine nachhaltige Entwicklung -
Umbruch in der Umweltbildung 6 Jahre nach Rio
 
 

Umwelterziehung und nachhaltige Entwicklung.    

Die Sculbildung  unterliegt in vielen Staaten einem grundlegenden pädagogischen Reformprozeß, der durch das neue Leitbild einer   'Bildung zur nachhaltigen Entwicklung' (Education for Sustainable Development, ESD) geprägt ist. Mit diesem Wandlungsprozeß sollen ein "Wertewandel" herbeigeführt sowie Verhaltensmuster und Lebenseinstellungen vermittelt werden, die zur Bewältigung lokaler und globaler Probleme erforderlich sind. ‘Bildung zur nachhaltigen Entwicklung’ ist kein eigenes Fach, sondern ein Unterrichtsprinzip, gegründet auf systemisch - holistisches Denken sowie verantwortungsbewußtes Handeln, wobei Wirtschaft - Gesellschaft - Umwelt untereinander zu vernetzen und deren Teilaspekte jeweils ganzheitlich und in globaler Sicht zu betrachten sind. Dieser Ansatz, sowohl fach- als auch fächer-übergreifend, reduziert nicht den Stellenwert der Unterrichtsfächer, sondern macht vielmehr ihre anteiligen Beiträge deutlich.

Aus heutiger Sicht ist Umwelterziehung zwar eine wichtige Vorstufe der ‘Bildung zur nachhaltigen Entwicklung', gleichwertig ist sie aber nicht. Umwelterziehung zielt darauf, Bewußtsein von ökonomischen, sozialen, politischen und ökologischen Interdependenzen im Raum zu entwickeln, um dem Einzelnen zu ermöglichen, Werte, Wissen, Verhaltensweisen, Engagement und Fertigkeiten zu erwerben, Umwelt zu schützen und zu verbessern. Das verlangt eine enge Verknüpfung verschiedener Dimensionen durch integrierendes Denken und verantwortungsbezogenes Handeln. Oft allerdings reduziert sich dies auf eine Art dog-matischen Environmentalismus, der an individuelles, umweltgerechtes Verhalten appelliert und in dessen Folge ‘Reparaturen’ bzw. Beiträge in Richtung einer technologieorientierten Entlastungsökologie geleistet werden.

"Bildung zur nachhaltigen Entwicklung" ist umfassender als Umweltbildung und fordert die ganze Gesellschaft, weil sie als lebenslanger Prozeß mit dem Ziel aufzufassen ist, jedem das Beziehungsgeflecht zwischen Wirtschaft -Gesellschaft - Umwelt und dessen Vernetztheit bewußt zu machen, um entscheidungs- und handlungsfähig zu werden und Herausforderungen begegnen zu können. Im Mittelpunkt stehen dabei: Werteorientierung, Verant-wortungsethik, Respekt für kulturelle Diversität sowie die Verpflichtung, sich für Frieden und Demokratie einzusetzen. Somit kommt "Bildung zur nachhaltigen Entwicklung" vor Eintritt in das 21. Jahrhundert und den damit verbundenen Herausforderungen hohe Priorität zu. Alle Fächer und ihre Curricula müssen daraufhin ausgerichtet werden; mit einer bloßen 'Umwandlung' von Umwelterziehung in 'Bildung zur nachhaltigen Entwicklung' ist es also nicht getan.

Eine wachsende Zahl von Staaten billigt inzwischen Bildung einen hohen Stellenwert bei der Lösung gegenwärtiger und zukünftiger Probleme zu. In der Agenda 21 wird allein der Begriff "Education and training" 617 mal verwandt, nur "government" erscheint noch häufiger. Im Rückblick auf die 5 Jahre nach Rio (1992) ist auch die Erkenntnis gewachsen, daß es noch intensiverer Bildungsanstrengungen bedarf und daß Bildung für die Umsetzung aller Kapitel der Agenda 21 unerläßlich ist. Allerdings machte sich diesbezüglich auf der Sondergeneralver-sammlung der UN Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) eine gewisse Ernüchte-rung breit, als die Bilanz vorlag. Nahezu alle Teilnehmerstaaten hatten ein country profile erstellt, in dem sie über jedes der 40 Kapitel Rechenschaft ablegten. Zum Kapitel 36 "Förde-rung der Schulbildung, des öffentlichen Bewußtseins und der beruflichen Aus- und Fortbil-dung" hat z.B. Deutschland u.a. dargelegt (verantwortlich: BMU [Umwelt]) und das BMZ [Wirtschaftliche Zusammenarbeit]):"In the area of education, school curricula have been re-viewed and revised to address adequately environment and development as a cross cutting issue at primary, secondary school, college and university levels and in vocational schools."

Die Diskrepanz zwischen dieser Feststellung und der Realität ist enorm. Wenn beispielsweise in Geographielehrplänen für die Sek. I und Sek. II ökologische, ökonomische und soziale Fragen lediglich addiert, aber nicht gleichzeitig und gleichgewichtig "zusammengesehen" werden, kann man nicht von Bildung zur nachhaltigen Entwicklung sprechen. Dazu gehört auch, diese Dimensionen als integrale Bezugspunkte des Nachhaltigkeitsdreiecks zu gewichten und als wertebezogene Lernziele in den Lehrplänen zu berücksichtigen.

 Bestandsaufnahme

Generell gesehen, haben alle Staaten große Schwierigkeiten, die Prinzipien von Umwelterziehung/Umweltbildung sowie von Bildung zur Nachhaltigkeit angemessen umzusetzen bzw. Wege aufzuzeigen, wie die Diskrepanzen zwischen Zielsetzungen, Lehrplan und Unterricht abzubauen sind. Noch 1992 stellte die Europäische Kommission fest, daß im Bereich der Umwelterziehung die Untersuchung der Umwelt sich überwiegend auf die natürlichen Lebensräume beschränke, die Zukunft der Umwelt einseitig dargestellt werde, sowie unklare Zielsetzungen vorherrschten, die zu widersprüchlichen Aktionen führen könnten und daß alles zu theoretisch konzipiert sei. In einer Bestandsaufnahme des OECD-Projekts "Umwelt und Schulinitiativen" (ENSI) aus dem selben Jahre wurde als Defizit insbesondere die fehlende Verknüpfung zwischen Wirtschaft und Umwelt in allen europäischen Lehrplänen festgestellt.

Grundsätzlich hat sich nichts geändert. Die bisherigen Fortschritte beschränken sich auf die 'basic school curricula' und auf Verbreitung von Unterrichtsmaterialien. Forschungsergebnisse werden nach wie vor nur mangelhaft durch Pädagogik-Institutionen rezeptiert. Die Ursachen hierfür sieht man in der fehlenden Erfahrung mit transnationalen Entwicklungen und der Didaktikforschung. Vor diesem Hintergrund hat das 'Europäische Grüne Forum', eine am 5.6.1997 von der Kommission eingesetzte Konsultativgruppe (European Consultative Forum on the Environment and Sustainable Development), u.a. gefordert, das Bewußtsein und die Kommunikation hinsichtlich Sustainability in der Öffentlichkeit zu verbessern. Die Lücke zwischen Wissenschaft und Unterricht macht es offensichtlich schwierig, die Inhalte einer 'Bildung zur nachhaltigen Entwicklung' festzulegen, da diese sich auf Informationen gründen müssen, die exakt, aktuell, unvoreingenommen und fächerübergreifend sind. Diese Art Information benötigt jedoch länger, um aus den akademischen Zirkeln hin zum Nichtspezialisten zu gelangen. Auf nationaler Ebene gab es zwar eine Reihe von Veranstaltungen der Deutschen Gesellschaft für Umwelterziehung e.V. (z.B. Iserlohn, Schwerin), doch fehlte es immer an der konkreten Umsetzung.

Es kommt hinzu, daß die Integration dieser Aspekte zur Nachhaltigkeit in das Bildungssystem durch Planer, Lehrer und Verwaltungsexperten behindert wird, die weder mit der interdisziplinären Vorgehensweise im allgemeinen noch mit den Problemen von Umwelt und Entwicklung im besonderen vertraut sind. Die Schlußfolgerung des UNO-Berichts (Overall Progress Achieved since the United Nations Conference on Environment and Development, Report of the Secretary-General, Addendum: Promoting Education, Public Awareness and Training [Chapter 36 of Agenda 21 E/CN.17/-1997/ 2/Add. 26], 22. January 1997) laufen deshalb darauf hinaus, das Bildungssystem, einschließlich der Lehreraus- und -weiterbildung, von Grund auf zu reformieren.

Wegen der allgemeinen Unzufriedenheit mit dem Status quo erfährt Umwelterziehung in Deutschland zur Zeit eine sehr kritische Würdigung, die deutlich macht, daß die Schulen angesichts der zu erwartenden Probleme in neuer Verantwortung stehen und Umwelterziehung daher neu definiert werden muß. Man fordert neue Themen und Vermittlungsformen. Es stehen nicht nur einzelne Inhalte, sondern auch überkommene Werte und übergreifende Strukturen zur Disposition. Wissen sei zwar wichtig, weitere Dimensionen wie Gefühle, Handlungskompetenz und Wertvorstellungen müssen hinzutreten, damit es zu umweltbewußtem Verhalten und Handeln kommt. Die Diskussion, wie dieses Leitbild im Bildungsbereich zu vermitteln sei, setzte in Deutschland erst etwa ab 1995 ein. Die Ursachen für die verzögerte Umsetzung lassen sich nicht allein mit dem föderativen Bildungssystem erklären. Ungleich stärker fallen die allgemeinen Rahmenbedingungen ins Gewicht.

In einer Studie des Verbandes Deutscher Schulgeographen e.V. (Umwelterziehung und nachhaltige Entwicklung; Bestandsaufnahme, Umsetzungsmöglichkeiten und Wege, März 1997), die vor der UN- Sondergeneralversammlung allen Schlüsselministerien und Kultusministerien zugegangen ist, wurde an Verpflichtungen erinnert, die sich aus der Agenda 21 zur Umsetzung des Prinzips Nachhaltigkeit im Bildungsbereich ergeben und um Auskünfte gebeten, inwieweit dies auf Landesebene geschehen ist, (z.B. durch Überarbeitung der Lehrpläne). Darüber hinaus wurde auf Entwicklungen in anderen Ländern verwiesen, die dem bereits verstärkt Rechnung getragen haben (u.a. USA, Japan, Australien, Dänemark, Österreich und Finnland) sowie ein Modell vorgestellt, das die Implementation des Prinzips Nachhaltigkeit in Lehrpläne ermöglicht.

Das Bundeskanzleramt und das Bildungsministerium begrüßten in ihren Stellungnahmen, daß der Verband als einer der ersten Fachverbände die Debatte nach Rio/92 und der Agenda 21 konstruktiv für den schulischen Bereich aufgegriffen haben. Auch Niedersachsen, Hamburg und Bremen brachten das zum Ausdruck. Die Studie wird als hilfreich angesehen, "Vollzugsdefizite" (Niedersachsen, Bremen) werden insofern eingeräumt, als man die Agenda 21 und die damit verbundenen Verpflichtungen z.B. im Bildungsbereich erst mit einiger Verspätung zur Kenntnis genommen hat.

 "Vollzugsdefizite"?

Der Erwerb von Zukunftsfähigkeit durch Bildung erfordert nicht allein hohe finanzielle Aufwendungen. Auch Staaten mit geringeren Aufwendungen verfügen über Reformkompetenz und können ihren Schülerinnen und Schülern das "neue Denken" vermitteln. Hier sei auf die aufsehenerregende TIMSS-Studie verwiesen, die eine international vergleichende Untersuchung über die Mathematikkenntnisse von Schülern der achten Klasse vorstellt . Deutsche Schülerinnen und Schüler belegten darin den 22. Platz.

Deutschland liegt mit seinen öffentlichen Ausgaben für Bildung in Prozent des BIP seit 1980 unter 5%, die Niederlande, Schweden und die übrigen skandinavischen Länder bei über 5%. Was jedoch die Ausgaben je Schüler angeht (expenditure per student relative to GDP per capita - all levels of education ,1994), so liegt Deutschland im Mittelfeld (30%), nur Österreich, Kanada, Schweden und die USA haben höhere Aufwendungen, Japan (24%) und die Niederlande (22%) liegen hinter Deutschland. Bei den Ausgaben pro Schüler der Sek. II (bezogen auf die Kaufkraft) lag Deutschland 1994 sogar mit 6.160 US $ vor Schweden (5.500), Japan (4.580) und den Niederlanden (4.060) (OECD-Database). Dies macht deutlich, daß es andere als finanzielle Gründe geben muß, die für den Erwerb von Zukunftsfähigkeit bestimmend sind, denn die Niederlande und Japan haben mit geringerem Aufwand mehr erreicht.

Das Zurückliegen Deutschlands auf dem Bildungssektor gründet sich u.a. auf mangelnde Kreativität und Innovationsbereitschaft sowie Vorbehalten gegen Impulse von außen.

Mangelnde Innovationsbereitschaft
Bildungsminister Rüttgers belegt eine den in den Verwaltungen häufig anzutreffende Spezies mit dem Namen "Bewährungshelfer". Für Glotz sind deutsche Rektoren und Dekane zwar angesehen, aber allzuoft machtlos. Die Macht hätten Zünfte (in der Regel zusammengebackene Cluster von Ministerialräten, Ordinarien und "schlauen" Universitätsverwaltern). Und alle redeten zwar von "Globalisierung", doch Deutschlands hohe Schulen werden jeweils nur zu Mittelzentren für die mittleren Jobs der jeweiligen Region .

Fehlende Weltoffenheit
Auf dem im September 1997 in Chambéry durchgeführten 4. Europäischen Kongreß für Umwelterziehung (Multidisciplinarity and International Cooperation) waren 90 Vertreter aus 28 Nationen, lediglich ein Teilnehmer eines Fachverbandes aus Deutschland, kein einziger Repräsentant aus der Bildungsverwaltung; die Niederländer stellten insgesamt 15 Teilnehmer.

Mangelndes Interesse an Außendarstellung
Die offizielle Liste der Ansprechpartner für Curricula bei der UNESCO enthält bis heute keinen Namen eines deutschen Vertreters.
Wenn der deutsche Bildungsminister angesichts von Globalisierung und Internationalisierung "Weltoffenheit als Qualifizierungsmerkmal" postuliert, müßte in den Verwaltungen und anderswo ein Umdenkungsprozeß einsetzen. Dort werden jedoch gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Fragestellungen (Bildung zur Nachhaltigkeit) nach wie vor nicht ausgiebig genug analysiert, berücksichtigt und verarbeitet.

Diese Selbstbezogenheit macht sich besonders in der fehlenden Wahrnehmung internationaler Entwicklungen bemerkbar.


Internationale Entwicklungen und nationale Umsetzung

Das mangelnde Interesse an internationalen Entwicklungen hat u.a. diesen "lag" im Bildungswesen entstehen lassen. Wenn nicht auf KMK- Ebene, auf der allerdings seit 1975 keine kontinuierliche Beratung über Bildungskonzepte mehr erfolgte, hätten doch rechtzeitig in den Ländern Beratungen erfolgen müssen, wie den Forderungen der Agenda 21 nachgekommen werden kann. Der Blick ins Ausland hätte entsprechende Impulse auslösen können. Zwei Beispiele seien kurz vorgestellt. Sie ließen sich beliebig erweitern mit entsprechenden Hinweisen auf Irland (National Education Strategy), die Niederlande, Norwegen, Finnland, Australien, Kanada usw.

USA:

Der President's Council on Sustainable Development (PCSD) hat schon im Herbst 1994 auf einer in San Franciso durchgeführten Tagung eine wegweisende Studie zu dieser Thematik erarbeitet "Education for Sustainability, An Agenda for Action" (ersch. 1996). Darin wurden die für diesen neuen Ansatz unabdingbaren Voraussetzungen formuliert, wie: interdisziplinäres Vorgehen, systemisches Denken und multikulturelle und globale Perspektiven - sowie ihre jeweiligen Anknüpfungspunkte zum Leitbild der Nachhaltigkeit aufgezeigt. Aktivitäten, die in diese Richtungen zielen, wurden sodann von der North American Association for Environmental Education (NAAEE) und ihren Partnern in curriculare Leitlinien übertragen (Environmental Education Materials: Guidelines for Excellence, 1996), die den Zielsetzungen des National Education Goals Panel sowie der Bildung zur nachhaltigen Entwick-lung gerecht werden, z.B. in der Grundforderung, Curricula sollten intergenerative und globale Verantwortung vermitteln.Infolge dieser Sichtweise, aber auch aus anderen Gründen, gewinnt die Geographie gegenwärtig in den USA einen neuen Stellenwert als Kernfach des Unterrichts (vgl.National Research Council: "Rediscovering Geography: New Relevance For Science and Society",1997)

Japan:

Anfang 1997 legte das Japanische Erziehungsministerium auf 75 Seiten ein Bildungsmodell für das 21 Jahrhundert vor: The Model for Japanese Education in the Perspective of the 21st Century, MONBUSHO. Diese Studie analysiert gegenwärtige Veränderungen, um ein zukunftsfähiges Bildungskonzept entwerfen zu können. Einzeluntersuchungen beschäftigen sich u.a. mit den folgenden Fragestellungen:

Das Bildungsmodell als Antwort auf soziale Veränderungen,
Internationalisierung und Bildung,
Bildung und das Anwachsen der Informationsgesellschaft,
Bildung und die Entwicklung von Naturwissenschaften und Technologie,
Bildung und Umweltprobleme.

Eingeschlossen sind die daraus zu ziehenden Konsequenzen, u.a. Querschnittscurricula und Integrated Studies. Erste Reformen wurden bereits 1994 vorgenommen , als das Fach Sozialwissenschaften an Japans Oberschulen durch Geographie, Geschichte und Staatsbürgerkunde ersetzt wurde, damit Schülerinnen und Schüler mehr Verständnis für Kultur und Entwicklung anderer Länder sowie Einsichten in die Rolle des Staates bei der Umsetzung des Prinzips nachhaltige Entwicklung im nationalen und internationalen Bereich gewinnen.
Eines der grundlegenden Anliegen der Studie ist, angesichts des zunehmenden Spannungsfeldes von sozio-ökonomischen Aktivitäten und eines fortschreitenden Bevölkerungszuwachses, die Frage nach der Tragfähigkeit der Erde. Um diese zu erörtern , bedarf es der Zusammenarbeit und des Bewußtseins globaler Solidarität, entsprechend muß der Einzelne sich der Außenwelt öffnen und sein Verhalten ändern, nach Gemeinsamkeiten in anderen Kulturen suchen, Respekt vor ihren Traditionen und Werten entwickeln sowie insgesamt mehr Verantwortung übernehmen.
Diese Änderungen führen gleichzeitig zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit, denn der neue Bildungsansatz liefert die dafür erforderlichen Schlüsselqualifikationen (u.a. systemisches Denken, Perspektivenwechsel, Verantwortungskompetenz). Darüber hinaus wird auch die Innere Schulreform auf dieses Neuen Denken angewiesen sein.

Deutschland:


Solche Überlegungen werden inzwischen auch in Deutschland angestellt, allerdings nur in bezug auf die Wirtschaft. Die Bundesregierung verabschiedete im Februar 1997 eine Handlungsstrategie zur nachhaltigen Entwicklung, in der ihr die Umsetzung dieses Leitprinzips vor dem wachsenden internationalen Konkurrenzdruck für den Wirtschaftsort Deutschland ausdrücklich geboten erscheint, weil dadurch Gestaltungsräume eröffnet werden, die zur Schaffung zukunftssicherer Arbeitsplätze zu nutzen sind. (Kabinettsbeschluß zum Bericht der Bundesregierung vom 19.02.1997 "Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland").

Abgesehen davon gibt es für den Bildungsbereich die folgenden Empfehlungen der KMK: Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule (25.10.1996) und "Eine Welt/Dritte Welt" in Unterricht und Schule (28.02.1997). Darin fehlt allerdings eine angemessene Analyse der Gegebenheiten sowie die Einbeziehung zukunftsrelevanter Spannungsfelder mit den entsprechenden Schlußfolgerungen für das Bildungswesen und die globale Sicht. Der Eine-Welt-Ansatz wird nicht schlüssig umgesetzt und das Prinzip Nachhaltigkeit wird nach wie vor nicht sachgerecht einbezogen: Es wird entweder nur auf wirtschaftliche Nachhaltigkeit abgehoben oder ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Dimensionen werden lediglich isoliert nebeneinander gestellt. Mit dieser Schwerpunktsetzung, überwiegend auf Wissensvermittlung gerichtet, verfehlen die Empfehlungen auch eine zukunftsbezogene Forderung der deutschen Wissenschaftsforschung, Aktivitäten verstärkt vom Systemwissen auf das Ziel- und Transformationswissen zu lenken.

Was den Einen-Welt-Ansatz angeht, auch Teil der Agenda 21, so wird in der Empfehlung "Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule" vornehmlich das 'Andere', das 'Fremde' betont (S.5) und nicht das Gemeinsame. Selbst in dieser Hinsicht blieb man weit hinter den aktuellen Erkenntnissen zurück. Eine in Auftrag der UNESCO tätig gewordene Kommission unter dem Vorsitz von Jacques Delors hat 1996 im Rahmen des Reports - "International Commission on Education for the Twenty-first Century" - Leitlinien für ein zukünftiges Bildungssystem festgelegt, die helfen sollen, jeweils unter Berücksichtigung der landesspezifischen Gegebenheiten, das Modell ‘nachhaltige Entwicklung’ umzusetzen. Das Reformprogramm ruht auf vier Säulen:

Lernen, in Gemeinschaft zu leben,

Lernen zum Wissenserwerb,

Handlungsbezogenes Lernen,

"Lernen, zu sein"; Selbstbewußtsein lernen

Den höchsten Stellenwert räumt die Kommission dem Lernen, in Gemeinschaft zu leben ein, weil sich der einzelne zunehmend einem Spannungsfeld ausgesetzt sieht, das ihn mit nationalen und globalen Problemen, mit den negativen Folgen von Globalisierung und Regionalisierung sowie mit einander sich ausschließenden Werteentscheidungen konfrontiert. Dabei bedeutet Lernen, in Gemeinschaft zu leben jedoch mehr als Toleranz gegenüber dem anderen. Es bedeutet, den anderen verstehen zu wollen, um im gegenseitigen Respekt zusammen zu leben. "Wenn wir das wollen, so müssen wir uns mit der Geschichte, der Geographie, der Sprache und dem Denken (Philosophie) anderer Kulturräume auseinandersetzen" (Delors), d.h. Kenntnis von und Verständnis für andere Kulturräume gewinnen. Diese Auffassung beginnt sich in den Ländern durchzusetzen, die im besonderem Maße der Globalisierung ausgesetzt sind, sich ihr aber auch stellen (USA, Japan, Großbritannien), indem sie beispielsweise die Anteile der Fächer Geographie und Geschichte an der Stundentafel beträchtlich erweitert haben.


                                   Umsetzungsmöglichkeiten des Leitbilds "nachhaltige Entwicklung" in Lehrplänen

Zur Umsetzung des Leitbilds 'Nachhaltigkeit' gehört, ausgehend von der Gesamtvernetzung von Ökologie, Ökonomie und sozialer Gerechtigkeit (Gesellschaft), auch die raum-zeitliche Dimension, nämlich 'Nachhaltigkeit' interregional bzw. global und intergenerativ zu sehen (Krol). Dies gilt ebenso für die schulische Bildung, z. B. bei der Erstellung von Lehrplänen, die verstärkt verantwortliche und werteorientierte Entscheidungen ermöglichen sollen. Deshalb sind bei der Vermittlung von Umwelterziehung und 'Bildung zur Nachhaltigkeit'

(1) neben der geoökologischen Thematik und Problematik die kulturräumliche und ökonomische in ihren wechselseitigen Zusammenhängen zu behandeln: Prinzip Vernetztheit und systemisches Denken,

(2) die Prinzipien der Nachhaltigkeit, die Balance von Ökonomie und Ökologie und die Problematisierung der technisch-ökonomischen Machbarkeit besonders zu beachten sowie

(3) auf sicheren und gründlichen Kenntnissen und Einsichten aufbauend auch Verantwortungsbewußtsein, zielgerichtete und zweckmäßige Handlungsbereitschaft zu wecken und zu fördern, um Zukunftsfähigkeit zu erlangen.

Um Zukunftsfähigkeit zu erlangen, sind grundlegende Reformen erforderlich, so auch im Bildungsbereich. Inwieweit sich dies in den Lehrplänen spiegelt, bleibt abzuwarten, zumal die Politik gegenwärtig intensiver mit den Problemen der Globalisierung und der zunehmenden Arbeitslosigkeit beschäftigt ist als mit 'Bildung zur nachhaltigen Entwicklung', obwohl gerade sie der Schlüssel ist, um diesen neuen Herausforderungen begegnen zu können. Zahlreiche Staaten haben ihre Bemühungen zur Umsetzung der Agenda 21 mit konkreten Ankündigungen verbunden. Das Earth Summit Watch Institut (Washington, D.C.) überprüft, inwieweit diese Zusagen sich mit der Realität decken und bewertet dies, z.B. bezogen auf Deutschland: "In Germany, there was recognition of the need for structural changes to achieve sustainable development, but no action was taken." In dieser Hinsicht steht Deutschland aber nicht allein.

 Dieter Gross: Fachreferent für Umweltbildung und Sustainable Development im

VERBAND DEUTSCHER SCHULGEOGRAPHEN E.V.